Das sind Deutschlands grünste Großstädte

Viele Städte behaupten von sich, besonders viele Grünflächen zu bieten. Die Berliner Morgenpost hat Satellitenbilder ausgewertet und zeigt erstmals, wie grün Deutschland wirklich ist.

Je hellgrüner die Fläche, desto stärker die Vegetation
Bitte installieren Sie einen aktuellen Browser, um die Anwendung zu nutzen.

Fast jeder dritte der 82 Millionen Einwohner Deutschlands lebt in einer Großstadt, immer mehr Menschen zieht es dahin. Es gibt mittlerweile 79 Städte in Deutschland mit mehr als 100.000 Einwohnern. Und spätestens im Mai zieht es die Großstädter raus ins Freie – in die Parks, ans Wasser und in den Garten. Viele Städte behaupten, besonders viel Vegetation zu bieten: Berlin sieht sich als eine der grünsten Metropolen. Hannover wirbt für sich sogar als grünste Großstadt Deutschlands - wie auch Halle an der Saale. Sie berufen sich dabei auf ihre öffentlichen Erholungsgebiete. Doch was ist mit bepflanzten Dächern, Privatgärten, Stadtbäumen, oder begrünten Hinterhöfen?

Wie grün Deutschlands Städte wirklich sind, zeigt ein Blick aus dem Weltall. Die Berliner Morgenpost hat 185 Satellitenbilder ausgewertet und zu einem detaillierten Bild zusammengesetzt. Dabei wird das Grün nicht nur sichtbar, sondern auch zähl- und vergleichbar. Laut Satelliten-Check ist ausgerechnet das als trist verschriene Siegen die Nummer eins unter allen 79 Großstädten - dicht gefolgt von Göttingen und Bergisch Gladbach. Allerdings gehören die drei auch zu den kleinsten der deutschen Großstädte. Deutschlands grünste Millionenstadt ist Hamburg. Die Hansestadt ist mit Dreiviertel der Fläche zugleich grüne Spitze unter den 14 Städten mit mindestens einer halben Million Einwohner. Berlin liegt in dieser Auswahl im Mittelfeld (Rang 8) – hinter Hannover (Rang 7).

Rangliste der grünsten Städte
Fläche mit Vegetation

Der Morgenpost-Satelliten-Check zeigt auch: Deutschlands Großstädte sind deutlich grüner, als bei bisherigen Vergleichen angegeben. So sind nach den Berechnungen in Siegen fast 86 Prozent der Fläche innerhalb der Stadtgrenzen bepflanzt. Zwar würde die Universitätsstadt auch bei konventionellen Auswertungen als Sieger hervorgehen - zumindest wenn die Wälder (51,8 Prozent) berücksichtigt werden. Schließlich liegt Siegen im waldreichsten Kreis Deutschlands. Bei den öffentlichen Grünanlagen steht die Stadt aber mit nur 1,6 Prozent des Stadtgebiets am unteren Ende.

Doch den Satelliten entgeht keine größere bepflanzte Fläche. Erstmals sind neben öffentlichen Grünflächen, Feldern und Wäldern auch die grünen Oasen auf privaten Grundstücken berücksichtigt - egal ob auf der Erde oder auf dem Dach. Laut Satelliten-Auswertung haben 27 der 79 Großstädte mindestens zu Dreiviertel Flächen mit Vegetation und liegen beim Grün-Anteil teilweise sehr eng beieinander. In nur sechs Großstädten beträgt der Anteil weniger als die Hälfte des Stadtgebiets. Der Chemiestandort Ludwigshafen am Rhein belegt mit einem guten Drittel (34,8 Prozent) in der Rangliste den letzten Platz, obwohl die größte Stadt der Pfalz einen überdurchschnittlichen Anteil von Grünanlagen (7,2 Prozent) angibt.

Halle an der Saale weist mit 12 Prozent Erholungsfläche sogar den höchsten Anteil aller 79 Städte aus – und landet dennoch nur auf einem unteren Rang (75) bei der gesamten Vegetation. Das heißt aber nicht, dass der Rest Betonwüste ist. Zur Abwertung kann zwar weniger üppige Bepflanzung innerhalb der Siedlungen führen, aber auch große Wasserflächen und ein vergleichsweise hoher Anteil landwirtschaftlicher Flächen – wie bei Erfurt (Rang 71, aber allein 62 Prozent für Landwirtschaft ausgewiesen). Viele Äcker sind in der betrachteten Sommersaison von Juni bis Juli einfach nicht grün. Hamburg profitiert dagegen von den riesigen Plantagen mit Obstbäumen, die vom Alten Land weit ins Stadtgebiet hineinragen.

So grün ist Deutschland Monat für Monat

Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember

Wie wichtig den Deutschen eine grüne Umgebung ist, zeigt die jüngste „Naturbewusstseinsstudie“, die Ende April vom Bundesumweltministerium vorgestellt wurde. Darin wurden die Menschen erstmals auch zum Thema „Stadtnatur“ befragt: 94 Prozent sind der Meinung, Natur solle möglichst in allen Teilen der Stadt zugänglich sein. Besonders wichtig sind ihnen öffentliche Parks (97 Prozent) und grüne Straßenränder (94 Prozent) – aber auch begrünte Gebäude werden von einer großen Mehrheit geschätzt (73 Prozent).

„Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, wollen aber die Natur nicht missen“, resümiert Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Die Großstädter nutzen die betonfreien Zonen als grünes Fitnessstudio oder möchten dort einfach nur vom Alltag abschalten. Und viele gönnen sich Landleben light - in Kleingarten-Anlagen und in den mittlerweile Hunderten Gemeinschaftsgärten der Urban-Gardening-Initiativen - wie dem „Prinzessinnengarten“ in Berlin-Kreuzberg oder dem „Gartendeck“ auf dem Dach einer Tiefgarage im Hamburger Stadtteil St. Pauli.

Video
Warum Großstädtern Grün so wichtig ist
Wir haben Großstädter gefragt, warum grüne Städte für sie wichtig sind. Video: Max Boenke, BM

Doch das Grün inmitten der Großstadt sorgt nicht nur für das subjektive Wohlbefinden der Bewohner, sondern bietet auch handfeste Vorteile - insbesondere für das Stadtklima. Dabei zählt jede Pflanze. Sie wirken als Feinstaubfilter, speichern CO2 und beugen in dicht bebauten Gebieten Hitzestress vor. So können begrünte Dächer und Hauswände die Gebäude im Sommer deutlich abkühlen. Dicht bewachsene Grünflächen dienen als Frischluftschneisen im Häusermeer. Unversiegelte Böden speichern Wasser und können so Überschwemmungen bei Starkregen verhindern. Stadtbäume helfen zudem Straßenlärm von Wohnungen etwas ferner zu halten.

Und Stadtnatur spart letztendlich Geld. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie von „Naturkapital Deutschland“. „Vor allem können Gesundheitskosten eingespart werden“, sagt Bernd Hansjürgens, Leiter des vom Bund finanzierten Forschungsprojekts. Allein stressbedingte Erkrankungen würden jährlich Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Stadtgrün senke Stress, so die Umweltforscher. Dass die Zukunft der Städte grüner ist, hat auch die Politik längst erkannt. Der Bund hat im vergangenen Jahr ein „Grünbuch Stadt“ vorgelegt - eine Bestandsaufnahme als Grundlage für Entscheidungen. Konkrete Handlungsempfehlungen fehlen noch, sollen aber im Frühjahr 2017 folgen.

So sind wir vorgegangen

Karte und Ranking basieren auf der Auswertung von 185 Satellitenbildern. Mit diesen Aufnahmen wurde der Vegetationsindex NDVI (Normalized Differenced Vegetation Index) ermittelt - für jede Fläche in Deutschland mit einer Auflösung von 30 mal 30 Metern. Der Index zeigt, wie viel Pflanzengrün (Chlorophyll) an einem Ort vorhanden ist. Danach ist auch die Karte eingefärbt. Aus diesen NDVI-Werten wurde dann der Anteil der bepflanzten Fläche innerhalb der administrativen Grenzen jeder der 79 Großstädte berechnet - und schließlich die Rangfolge ermittelt. Der Satelliten-Check zeigt also, wie grün es wirklich im Sommer in Deutschland ist, sagt aber nichts unmittelbar über Lebensqualität oder Nachhaltigkeit in den Großstädten aus.

Fragen und Antworten zur Methodik

Woher stammen die Daten und Satellitenbilder?

Landsat-Satellitenbilder werden von der US-Behörde USGS und der Nasa kostenlos im Web zum Download bereitgestellt. Für die Auswertung der Bilder wurde Google Earth Engine eingesetzt. Die Software umfasst mehrere Petabyte an Satellitenbildern. Mit ihr können Satellitendaten ausgewertet und damit gerechnet werden.

Für die Darstellung der Vegetation in Deutschland wurden insgesamt 185 Aufnahmen der Satelliten Landsat 5, Landsat 7 und Landsat 8 zu einem Einzelbild zusammengefügt. Verwendet wurden alle Bilder mit einer Wolkenbedeckung unter fünf Prozent aus den Sommermonaten Juni und Juli der Jahre 2005 bis 2015.

Warum wurden Satellitenbilder für den Vergleich benutzt?

In Städtevergleichen zum Grün wurden bisher öffentliche Grünanlagen und Waldgebiete gegenübergestellt. Sie beruhen auf den Angaben der jeweiligen Statistikämter zur Flächennutzung. Diese werden auch bundesweit gebündelt – in der Regionaldatenbank Deutschland und im INKAR-Atlas des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Diese enthalten jedoch keine Daten über private Grünflächen. Doch diese wollten wir in die Erhebung einbeziehen. Denn wer ein eigenes Stück Garten am Haus hat, ist weniger auf einen Park angewiesen. Zudem zählt für das Stadtklima jede Pflanze.

Für einige Kommunen existieren auch detaillierte Versiegelungskarten, die zumindest Rückschlüsse auf das Grün zulassen. Doch diese Daten werden mit unterschiedlichen Methoden erhoben – und sind nicht für alle Städte gleichermaßen vorhanden. Satelliten nehmen das Grün einheitlich auf – egal ob am Straßenrand, im Hinterhof oder im Stadtpark. Sie erlauben somit zumindest für Deutschland (klimatisch sehr ähnlich) einen umfassenden Vergleich unter sonst gleichen Bedingungen.

Mit welcher Methode wurde das Grün sichtbar gemacht?

Durch die Aufnahmeauflösung der Satelliten wird Deutschland quasi in ein Raster zerlegt, wobei jedes einzelne Pixel für eine Fläche von 30 mal 30 Metern steht. Bei der Menge der über den Zeitraum aufgenommenen Satellitenbilder hat sich nicht nur ein einziges Deutschland-Puzzle ergeben, sondern eine Vielzahl identischer Ausschnitte zu verschiedenen Zeitpunkten. Diese wurden pixelgenau übereinandergelegt - und für jede Fläche der mittlere Wert (Median) gebildet.

Für jeden dieser kleinsten Abschnitte wurde dann ermittelt, wie stark er bewachsen ist und ob es dort überhaupt Vegetation gibt: Pflanzen reflektieren das Licht in bestimmten Wellenbereichen. Anhand der Kombination aus rotem und nahem Infrarot-Bereich lässt sich der sogenannte NDVI (Normalized Differenced Vegetation Index) ermitteln. Daraus resultieren in unserer Rechnung Werte zwischen 0 (keine Vegetation) und 0,8 (üppige Vegetation). Danach wurde die Karte schließlich einfärbt.

Wie wurden die Grünflächen-Anteile der Städte berechnet?

Nachdem für jedes Pixel der NDVI-Wert ermittelt war, wurden diese in nur zwei Kategorien eingeteilt: entweder mit Vegetation oder ganz ohne - wie Wasser oder bebaute Flächen. Diese Unterteilung wurde mit einem NDVI-Schwellenwert von 0,45 getroffen. Alles darunter gilt als nicht bepflanzt.

Ermittelt wurde der Wert zum einen durch visuellen Abgleich mit Landkarten und durch Vergleiche mit bekannten Referenzflächen wie großen innerstädtischen Parks. Außerdem wurde er mit einem Stichprobenverfahren näherungsweise berechnet. In einem letzten Schritt wurde dann der prozentuale Anteil der entsprechenden Flächen berechnet und deren Plausibilität anhand statistischer Angaben zur Flächennutzung und Bodenversieglung geprüft.

Hier finden Sie unseren Quellcode für die Satellitenabfrage und die Berechnungen mit Google Earth Engine.

Wie genau sind die Angaben?

Wegen der Auflösung von 30 Metern - Luft - und Satellitenbilder bei Google Maps sind mit Auflösungen bis zu 30 Zentimetern weitaus genauer - können Daten nicht bis auf jeden Baum genau ausgewertet werden. Wir haben es bei der NDVI-Ermittlung in vielen Fällen mit Misch-Pixeln zu tun: Im Extremfall kann ein 30 mal 30 Meter großes Areal zur Hälfte mit einem Wohnhaus bebaut sein und der Rest wäre dichter Wald. Das ganze Pixel würde dem grünen Bereich zugeschlagen werden, obwohl es in Wirklichkeit nur die Hälfte ist. Und auch bei höherer Auflösung würden Straßenbäume für Ungenauigkeiten sorgen: Wegen des Blicks von oben können ihre Baumkronen Teile von Straßen und versiegelten Plätzen abdecken. Um diese Effekte abzuschwächen, ist der Schwellenwert eher etwas pessimistisch gewählt.

Hier finden Sie die Rohdaten, die der Anwendung zugrunde liegen.

Warum sind 79 Großstädte in der Rangliste?

Die Angaben zu den Einwohnern stammen vom Statistischen Bundesamt mit Stand 31.12.2014. Zu diesem Zeitpunkt waren in 77 deutschen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern gemeldet. Diese Einwohnerschwelle zur Großstadt haben 2015 laut eigenen Angaben auch Hildesheim und Salzgitter überschritten. Sie wurden deshalb in die Großstadt-Rangliste aufgenommen. So sind mit Stand 1. Januar 2016 nun 79 Städte vertreten. Cottbus, Gütersloh und Kaiserslautern lagen zu diesem Zeitpunkt knapp unter der 100.000-Einwohner-Grenze.

Welche Daten wurden noch verwendet?

Im Text genannte Werte zur Flächennutzung in der einzelne Städte - wie landwirtschaftliche Fläche, Wald oder Grünanlage - stammen aus den Berechnungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- Raumforschung (BBSR) und basieren auf Daten der statistischen Landesämter mit Stand 31.12.2014. Sie wurden auch um Zuge der Entwicklung des Satelliten-Checks genutzt, um zu überprüfen, wie plausibel die selbst ermittelten Werte sind.

Fotoquellen

Fotos: Flickr: Krefeld: Philipp Beckers, Mönchengladbach: Marketing Gesellschaft Mönchengladbach, Neuss: Anil Öztas, Remscheid: Wolfgang Schie, Salzgitter: Reinhard Klar, Solingen: madebybo. Wikimedia Commons: Aachen: Arne Hückelheim, Darmstadt: LSDSL, Erlangen: Janericloebe, Gelsenkirchen: Thomas Robbin, Göttingen: Magnus Mertens, Hamm: Reckmann, Heilbronn: K. Jähne, Jena: Igor Slovak, Siegen: Harald Helmlechner, Mülheim a. d. Ruhr: Tuxyso, Münster: Bernhard Kils, Oberhausen: Alter Vista, Oldenburg (Oldenburg): Ra Boe, Osnabrück: Jusos, Paderborn: ludger1961, Wiesbaden: Martin Kraft/photo.martinkraft.com, Wuppertal: JensD.

Lesen Sie weiter
Berlin im Sommer und im Winter
Die Berliner Morgenpost zeigt Sommerfotos – und besucht dieselben Orte erneut im Winter
Zur Galerie